Leider hat sich das gute Wetter nicht halten können. Der Montag begrüßt uns mit Nieselregen, nur von gelegentlichen Schauern unterbrochen. Am späten Vormittag bilden wir uns ein, es würde etwas heller, und wir entschließen uns, eine weitere im Wanderführer empfohlene Tour zu gehen – wir machen uns auf den Weg nach St. Bees. Geplant sind drei 3/4 Stunden für 13 Kilometer, zunächst durch die Felder, dann am Klippenrand zurück.
Vom Parkplatz des Colleges geht es los, auch hier stimmt die Streckenbeschreibung wieder 100%ig. Erst Feldweg, dann Trampelpfad am Waldrand entlang, den Hügel hoch, hinter dem Bauernhof links ab zickzack durch die Felder, über die Hauptstraße hinüber in den nächsten Weiler. Klingt harmlos, aber das waren schon mal die ersten zwei Stunden, und der schwierigste Teil der Strecke liegt noch vor uns.
Zum Glück hält sich das Wetter, wir können phasenweise die Regenjacken sogar ausziehen. Nur matschig ist es halt überall, das bremst ein wenig.
Hinter Sandwith steigt die Straße an und wir gelangen endlich auf den coast to coast Klippenpfad. Leider ist die Aussicht aufgrund des schlechten Wetters miserabel, die ursprünglich geplante Fotosession fällt buchstäblich ins Wasser. Was von unten wie Nebel ausgesehen hat manifestiert sich hier oben nach kurzer Zeit zu heftigem Niederschlag, den der starke Wind uns auch noch von schräg vorn entgegenschleudert. Wieso tue ich mir das nur immer wieder an? Ich könnte jetzt gemütlich im Cottage vorm Kamin sitzen, Beine hoch, Tässchen Tee und ein gutes Buch. Aber nein, da quält man sich mühsam Schrittchen für Schrittchen durch den Sturm auf einem glitschigen Trampelpfad nicht mehr als zwei Hand breit voran, rechts geht es steil ab zum Meer, die Sicht geht gegen Null, weil wir keine Scheibenwischer auf der Brille haben, die Nässe dringt durch sämtliche Kleidungslagen. Und dann kommen uns auch noch unterhalb des Leuchtturms zwei junge Burschen entgegen in Bermudashorts und T-Shirts, große Rucksäcke auf dem Rücken, und scheinen Spaß zu haben. Ich so „weather could be better“; Antwort „a little bit“. British understatement.
Gernot versucht wiederholt, mir Mut zu machen. Was bleibt mir auch schon übrig? So erschöpft ich irgendwann bin, ich kann ja nicht einfach sitzenbleiben. Dann kommen wir an die Passage, die im Wanderführer als kräftiger Abstieg beschrieben wird. Psychologisch günstig hört der Regen auf einmal auf. Meine zwei Wanderstöcke sind an dieser Stelle (und auch später nochmal) Gold wert. Auf halber Höhe beim Wiederaufstieg schaue ich aufs Meer; weit draußen kommt auf einmal die Sonne durch und zaubert einen silbern glitzernden Spiegel auf die Wasseroberfläche. Mir kommt ein Lied in den Kopf – „There’s a light“ aus der Rocky Horror Picture Show. Da stehe ich am Klippenrand, das Wasser tropft mir aus der Kleidung, ich bin fix und fertig und schmettere, was die Stimme hergibt. Tut irgendwie gut, das gibt wieder Kraft für die nächste Meile.
Und dann sehen wir endlich das Ende des Weges, St. Bees kommt in Sicht. Ein letzter steiler Abstieg und dann durch den Ort an der alten Kirche vorbei zum Auto. Zuletzt wackel ich hin und her wie ein Pinguin, jede Bodenschwelle ist eine Herausforderung. Aber geschafft, nach fünf Stunden!
Meine Güte, tut das gut trockene Sachen anzuziehen…